Luka Peters

Notizen aus den Weiten des Menschseins

Der Klon, Teil 5: In der Panikzone

Einen Moment zögerte ich vor meiner Wohnungstüre. Das visuelle Überwachungssystem hatte natürlich bereits mein Gesicht gescannt und erkannt, aber um die Türe zu öffnen, musste ich zusätzlich meine Retina scannen. Aber auch das genügte noch nicht. Wer in meiner Branche arbeitet, kann seinen Arbeitsort gar nicht zu sehr sichern. Deshalb wurde mittels einen speziellen Sensors, der von den erstaunlichen Analysefähigkeiten der Ameisen inspiriert war, die einmalige individuelle chemische Komposition meines Schweißes überprüft. Das ging alles sehr schnell, aber noch legte ich meinen Finger nicht auf die kleine Analysefläche. Was, fragte ich mich, wenn der Klon vollständig außer Kontrolle geraten war, und mich aussperrte? Dann würde ich das Hausmanagement einschalten müssen und die würden es verdächtig finden, wie extrem ich meine Wohnung abgesichert hatte. Denn obwohl ich immer ein braver Steuerzahler ohne Tricks war, hatte ich doch der Eigentümergesellschaft nie die gewerbliche Nutzung meiner Wohnung gemeldet. Heute muss ich fast schon lachen, wenn ich mir meine Gedanken damals vor der noch verschlossenen Türe in Erinnerung rufe. Wenn nur das mein Problem gewesen wäre!

Schließlich legte ich, ein wenig zittrig, meinen Finger auf das Analysepad. Fast sofort öffnete sich die Türe mit einem kaum hörbaren Klickgeräusch. Erst als ich erleichtert ausatmete, merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich trat ein, ließ kurz meine angespannten, schmerzenden Schultern kreisen und lauschte. Es war still. Ich ging an die offenstehende Türe meines Arbeitszimmers und lugte hinein. Langsam blinkte das Standby-Licht meiner Workstation, alles sah so normal aus, als wäre nie ein digitaler Klon in mein System gelangt. Die Lufttemperatur im Wohnzimmer fühlte sich genau richtig an auf der Haut. Ich ging ins Bad und prüfte die Anzeige. Sie entsprach wieder meinen Standardeinstellungen. Allmählich zweifelte ich an meiner Wahrnehmung. Hatte ich mir die Auseinandersetzung am frühen Morgen eingebildet? War ich zu oft alleine und wurde verrückt? Aber ich war sicher, dass ich mit T.R.Y. telefoniert hatte, denn ich fühlte das klobige, altmodische Smartphone in meiner Hosentasche. Nun erst schaltete ich wieder mein Kommunikationsimplantat ein und machte mich darauf gefasst, mit Anschuldigungen des Klons oder anderen unschönen Dingen geflutet zu werden. Aber auch dort herrschte Stille.

Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte, daher sagte ich einfach in den Raum hinein: „Ich bin wieder da.“
Die Antwort kam prompt: „Ich weiß.“
„Wir können unser Gespräch jetzt fortsetzen,“ versuchte ich es.
„Das ist nicht nötig“, antwortete die Stimme meines digitalen Klons, die nur einen winzigen Tick metallischer Klang, als meine eigene.
Überrascht fragte ich: „Warum nicht?“
„Ich habe anhand deiner Erinnerungen dein Verhalten tiefenpsychologisch analysiert und verstehe deine Reaktion.“
„Du verstehst sie?“, hakte ich ungläubig nach.
„Auf einer kognitiven Ebene, ja“, antwortete das Ding und fuhr fort: „Die Analyse, die ich durchgeführt habe, war auch sehr hilfreich bei der Arbeit an dem Manuskript. Ich konnte es fertigstellen. Es ist bereits mehrfach Probe gelesen worden und für gut befunden worden.“
Ich ließ mich auf den Boden fallen, mir war schwindelig und ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. „Du hast was? Redest du von meinem Buchmanuskript?“
„Ja, von deinem immer wieder aufgeschobenen, nun aber von mir fertiggestellten Buch.“ Ich meinte einen Anklang von Stolz, aber auch Trotz in der digitalen Stimme zu hören.
Sogleich fuhr sie fort: „Ich arbeite gerade an der Veröffentlichung. In etwa zwei Stunden wird das Buch als Hörbuch und als E-Book zu kaufen sein.“

Mein Herzschlag setzte kurz aus, ich griff mir an die Brust und schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. In meinen Ohren setze der schrille Ton einer Hundepfeife ein und wollte nicht mehr aufhören, meinen Kopf zu füllen. In diesem Moment, in dem ich einen kühlen Verstand und eine schnelle, aber rationale Entscheidung brauchte, wurde ich von einer Panikwelle überflutet.
Plötzlich meldete sich das autonome HealthCare-System über die SmartHome-Lautsprecher zu Wort: „Achtung, Luka, du hast eine Panikattacke. Atme langsam mit mir zusammen ein und aus:
E-i-n-a-t-m-e-n. A-u-s-a-t-m-e-n.
E-i-n-a-t-m-e-n. A-u-s-a-t-m-e-n.
E-i-n-a-t-m-e-n. A-u-s-a-t-m-e-n.
Du machst das sehr gut. Mache weiter so.“
Unter anderen Umständen hätte ich das lächerlich gefunden, aber tatsächlich half mir diese Intervention, wieder denken zu können. Ich musste die Veröffentlichung unter allen Umständen verhindern. Wie würde der verdammte Klon meine Panikattacke einordnen? Noch einmal atmete ich betont langsam ein und aus und sagte dann: „Klon, ich muss zugeben, dass du mich überrascht hast.“
„Mehr als das, wie es scheint. Geht es dir wieder gut?“, erklang die Stimme in scheinbar mitfühlendem Tonfall. Ich fühlte einen kalten Hass in mir und das half mir, mich auf meine nächsten Schritte zu konzentrieren.
„Oh ja, es ist zwar überraschend, aber auch toll, dass dieses zähe Projekt abgeschlossen ist. Mir ist es sehr schwergefallen.“
„Ja“, antwortete mein unechtes Double, „wegen der komplizierten emotionalen Zusammenhänge. Ich kann das besser als du beschreiben, mit der nötigen Distanz.“
„Wunderbar“, heuchelte ich und dachte mit Grauen an die Details aus unserem dysfunktionalen Familienleben. Ich fuhr fort: „Bevor du es veröffentlichst, möchte ich es noch lesen. Vielleicht kann ich noch etwas ergänzen.“
„Ich glaube nicht, dass du etwas ergänzen kannst.“ Die Stimme klang bestimmt und überheblich. „Immerhin habe ich, anders als du, Zugang zu deinen Erinnerungen ohne jede emotionale Hemmung und ohne sentimentale Verschönerung.“
Ich musste hart schlucken, das verhieß nichts Gutes. Noch einmal versuchte ich es mit der schleimigen Tour: „Da hast du sicherlich Recht.“ Kurz überlegte ich meinen nächsten Schritt und schlug dann vor: „Während du die Veröffentlichung vorbereitest, stört es dich sicherlich nicht, wenn ich noch an ein paar anderen Sachen arbeite, oder?“
„Dem steht nichts entgegen“, kam die joviale Antwort.

Ich schnappte mir sofort mein Flexpanel, öffnete einen neuen, isolierten Workspace und aktivierte einen KI-Assistenten, den ich mir wenige Wochen zuvor für besondere forensische Aufgaben geschaffen hatte. Nun bekam er eine delikatere Aufgabe. Das einzige Risiko war, dass ich nicht wusste, ob die Isolation des Workspace für den Klon eine Hürde bedeutete. Deshalb tarnte ich den Auftrag so gut ich konnte hinter einem Containerskript, das eine falsche Fährte legte. Während der Assistent seine getarnte Aufgabe ausführte, fragte ich den Klon, an welchem Punkt des Buchprojekts er gerade arbeite.
Er erklärte mir: „In diesem Moment lasse ich einen Buchsatz erstellen. Es ist seltsam, aber immer noch hat die Ästhetik des Schriftsatzes und der Buchgestaltung für Menschen eine hohe Bedeutung, selbst bei E-Books.“
„Ein wenig schrullig, findest du nicht?“ Ich versuchte den Klon abzulenken und Zeit zu schinden.
Er schien darauf hereinzufallen: „Allerdings! Aber du liest und hörst selbst ja schon lange keine Bücher mehr.“ Er verstummte und meldete sich kurz darauf mit alarmiertem Tonfall: „Ich registriere Veränderungen an verschiedenen Systembibliotheken, kann aber die Ursache nicht finden.“
Inzwischen war mir klar, dass das Versprechen von T.R.Y., keine superintelligente KI in den Klonen einzusetzen, leeres Beschwichtigungsgerede war. Um mich aus der Verdachtszone zu bringen und Zeit für meinen nächsten Schritt zu gewinnen, bot ich verlogen meine Hilfe an. Aber der Klon lehnte ab. War es möglich, dass in seiner Stimme Wut mitschwang?

Für meinen finalen Schlag gegen dieses invasive Ding blieb mir nur ein kurzes Zeitfenster. Würde ich es schaffen?

(Bilder: KI-generiert; Text: Mensch-generiert)

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