Hätte ich Freunde gehabt, wäre ich vermutlich zu ihnen gegangen, um mir Rat zu holen. Aber nach verschiedenen enttäuschenden Erfahrungen mit anderen Menschen, besonders mit meinem Vater, aber auch in Liebesbeziehungen, war ich zu der Erkenntnis gelangt, dass man nur Zahlen trauen kann. Sie lügen nie. Ein geschickter Mensch kann sie zwar so zusammenstellen, dass sie wie eine Lüge aussehen, aber die Zahlen selbst sind immer ehrlich. Für mich hatten bis zu diesem Tag auch Computerprogramme und in logischer Folge Programme ausführende Maschinen zum Paradigma der ehrlichen Zahlen gehört.
Das Verhalten des Klons war für mich ein tiefgehender Schock. Wenn ich Zahlen nicht mehr vertrauen kann, wem dann?
Nachdem ich das Haus verlassen hatte, lief ich eine Weile ziel- und blicklos durch die Straßen. Mein Puls raste, angetrieben von Adrenalin, als befände ich mich in einem Straßenkampf, mein Hirn schmerzte von der Anstrengung, die neue Erfahrung einzuordnen und eine rationale Entscheidung über meinen nächsten Schritt zu treffen.
Schließlich betrat ich eines der Geschäfte, die mit antiker Kommunikationstechnik handeln und in denen man noch immer sogenannte Smartphones kaufen kann. Heute kaum vorstellbar, galten diese Geräte vor ein paar Jahrzehnten als Hochtechnologie und mit ihnen der Funkstandard 6G, der noch immer als Nischenprodukt betrieben wurde. Eine lächerliche Technologie, aber nun kam mir das gerade recht, um abgekoppelt von meinem Individualsystem ein Serviceticket zu starten. So konnte der durchgeknallte Klon die Kommunikation mit dem Hersteller nicht beobachten und sich entsprechend auf meine Gegenmaßnahmen einstellen. Ich kaufte also eines dieser Telefone und die dazugehörende 6G-eSIM, suchte mir draußen eine ruhige Ecke, deaktivierte vorsorglich mein Kommunikations-Implantat und rief bei T.R.Y., dem Hersteller des Klons, an.
„Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld. Alle unsere Assistenten sind derzeit beschäftigt. Sie sind auf Platz 1 in der Warteliste.“ Callcenter waren längst vollständig automatisiert und KI-gesteuert, aber die Hölle der Warteschleifenmusik gab es noch immer. Meine Hand verkrampfte sich um das ungewohnte Kommunikationsgerät, dass sich für mich wie ein Ziegelstein anfühlte. Schon bald meldeten sich Schmerzen in Ellbogen und Hand.
„Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Endlich!
Ich erklärte dem Assistenten das Problem und es antwortete: „Einen Moment bitte. Ich prüfe Ihren Vertrag und Ihr System.“
Welches System meinte das Ding? Bevor mein Misstrauen wachsen konnte, hörte ich die warme, freundliche Stimme wieder: „Ich kann keine Unregelmäßigkeiten in der Auftragsausführung feststellen. Haben Sie noch eine andere Frage?“
„Ich habe keine andere Frage, sondern möchte dieses…“ begann ich meine Antwort.
„Ich freue mich, dass Sie keine weiteren Fragen haben und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, unterbrach mich die KI. „Zögern Sie nicht, uns wieder zu kontaktieren, sollten Sie neue Fragen haben. Auf Wiederhören.“
Klick.
Ich nahm das Telefon vom Ohr, meine Hand kribbelte inzwischen, als hätte sich ein Ameisenvolk unter der Haut eingenistet. In der Reflektion des Displays sah ich meinen verwunderten Gesichtsausdruck.
Kurz war ich versucht, das altmodische Ding in den nächsten Recycler zu werfen, in dem es sofort in seine Einzelteile zerlegt und die Materialen getrennt zur Aufwertung transportiert worden wären. Stattdessen steckte ich es in die Hosentasche und dachte dabei: „Vielleicht kann ich damit noch einem mittellosen Menschen eine Freude machen.“ Im nächsten Moment wunderte ich mich allerdings sehr darüber, einen solchen Gedanken zu haben. Ich fühlte, dass mein Gesicht heiß wurde und wusste nicht, ob von Scham oder Zorn.
Was mich erwartete, als ich nach Hause kam, spielte sich auf einem ganz anderen Level ab, als ich je gedacht hätte.
(Bild: KI-generiert; Text: Mensch-generiert)