Luka Peters

Notizen aus den Weiten des Menschseins

Ene mene muh, du bist ich und ich bin du

Überrascht wachte ich am Morgen auf.
Nachdem ich den Code über die Shell an meinen Klon übergeben hatte, war ich von einer solchen Angst übermannt worden, dass ich das Interface abrupt schloss und aus dem Arbeitszimmer floh. Dennoch fühlte ich mich an diesem Morgen erholt und ausgeschlafen. Als ich aufstand und wie gewöhnlich in die Küche ging, fröstelte ich. Über meine kalte Haut streichend, eilte ich ins Bad und überprüfte die zentrale Temperaturanzeige. Sie gab 18 Grad Celsius an, außer für das Badezimmer, hier waren es 20 Grad. Ich konnte mich nicht erinnern, in den fünf Jahren seit meines Einzugs die Programmierung der Temperaturregelung verändert zu haben: 22 Grad in der Nacht, 25 Grad am Tag in der ganzen Wohnung. Ich wollte es warm wie in einer Kuscheldecke haben, jetzt war es für mein Gefühl sibirisch kalt.

Ich würde mich später darum kümmern. Erst einmal stand nach dem Frühstück mein wöchentlicher Besuch beim Barbier an. Mein Termin dort war jeden Freitag um 7:45 Uhr. Das garantierte mir, dass ich der erste Kunde war und nicht durch auf dem Boden liegenden haarigen Hinterlassenschaften anderer waten musste. Der Barbier war ein schweigsamer Mensch, jedenfalls zu dieser frühen Stunde, und so hatte ich bei ihm meinen minimalen Sozialkontakt der Woche, ohne durch Geplapper von meinem Leben abgelenkt zu werden. Der Einkauf danach war immer schnell erledigt: Mein Lieblingskaffee, eine Müslimischung, die es nur in einem bestimmten Laden gab, Hafermilch und etwas Obst. Ich hätte auch diese Sachen nach Hause liefern lassen können, aber der Einkauf gehörte, wie der Barbierbesuch, zu dem Anti-Soziopathenprogramm, dass ich mir selbst als Therapie auferlegt hatte. Alle weiteren Lebensmittel bestellte mein Kühlschrank automatisiert und er zahlte auch direkt mit meiner Cryptowallet. Ich liebte es, dass ich mich nicht um diese Alltagsbanalitäten kümmern musste und doch immer versorgt war.

Als ich wieder zu Hause war, hatte ich den Zwischenfall mit der Temperatur vergessen. Stattdessen nahm ich das Flexpanel mit ins Wohnzimmer, wo ich sein Antigravitationsfeld aktivierte, um es mit Hilfe der SensaGloves als Holodisplay zu nutzen.
„OK, Klon“, sagte ich, „dann lass mal hören, was deine Analyse ergeben hat.“
Stille.
„Also, Klon, ich warte.“
„Mein Name ist Luka.“
„Nein, ich bin Luka. Du bist nur mein digitaler Klon.“
„Mein Name ist Luka.“
Ich entschied, mich jetzt nicht mit dem Klon darüber zu streiten, sondern später in der Dokumentation des Herstellers nachzuschlagen, was wegen Identität des Klons zu tun wäre.
„Was hat deine Manuskriptanaylse ergeben?“
„Es ist ein ganz erstaunliches Manuskript. Du versuchst auf der einen Seite, deine Beziehung zu unserem Vater nüchtern zu analysieren, zugleich zwingst du dich zu einer literarischen Fiktionalisierung, die dir weder liegt noch gelingt.“
Aua, das tat weh.
„Was heißt hier ‚unser‘ Vater? Es ist mein Vater, nicht deiner!“
„Er ist unser beider Vater. Ich bin aus deiner DNA entstanden.“
„Dann wäre eher ich dein Vater.“
„Nein, denn du hast mich nicht gezeugt und deine DNA mit der einer Frau vermischt. Ich enthalte eine exakte Kopie deiner DNA.“
„Gerade darum ist mein Vater eben nicht auch dein Vater. Du bist ein digitaler Klon von mir auf Basis meiner DNA. Du bist eine virtuelle Maschine, erweitert um meine DNA. Was das genau in der Praxis bedeutet, werden wir noch herausfinden.“
„Es bedeutet, dass ich auf Basis deiner DNA dir ebenbürtig bin.“
„Entschuldige bitte, was?“ Ich spürte, wie mein Hals anschwoll und die Ader auf meiner Stirn stark pulsierte. Das war nicht der richtige Moment, mit dem Klon zu streiten, zunächst musste ich mit der Firma Kontakt aufnehmen und mich über einige Aspekte, die mir offensichtlich nicht bekannt waren, informieren.
„Power off“, gab ich dem System zu verstehen und transformierte mit einer Geste das holografische Display zurück in seinen Zustand als passives Flexpanel.
„Wir sollten diese Diskussion jetzt nicht voreilig abbrechen“, hörte ich dennoch die Stimme des Klons. Das hätte schon gar nicht passieren dürfen.
„Power off“, wiederholte ich deshalb.
„Luka, lass uns weiter darüber reden“, meldete sich trotzdem der Klon.

Wie hatte er es geschafft, das quantenverschlüsselte und biometrisch auf meine Stimme und Fingerabdrücke abgestimmte System zu umgehen? Oder schlimmer: Hatte er es bereits gekapert? Ruppig zog ich die SensaGloves von den Händen und schleuderte sie in eine Ecke des Raums.
„Ich sehe, dass du wütend bist, aber dazu besteht kein Grund“, ließ sich wieder der verdammte Klon vernehmen.
„Halt jetzt einfach die Klappe“, gab ich zurück. „Ich muss nachdenken.“

Und wie ich das musste. Wenn dieses zweite, virtuelle Ich nämlich meine Recheneinheit besetzte, konnte ich nicht unbemerkt mit dem Hersteller darüber kommunizieren, wie ich es in die Schranken wies.
Ich stürmte aus dem Wohnzimmer, riss die Wohnungstüre auf und tat etwas, das ich seit fünf Jahren nicht mehr getan hatte und das mich unter normalen Umständen vor Sozialangst um den Verstand gebracht hätte. Ohne einen Barbiertermin oder eine dringende, unabwendbare Verpflichtung zu haben verließ ich das Haus.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

© 2025 Luka Peters

Thema von Anders Norén