Die Firma nannte sich „The Real You“. Folgerichtig lautete ihr Werbeslogan „Just T.R.Y. it“
‚Was für ein alberner Name.‘, dachte ich. ‚Das wahre ICH bin nur ich selbst, kein Klon.‘
Die Idee, einen Klon auf Basis individueller DNA zu generieren, gab es seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Zunächst hatten sich reiche Öl- und IT-Magnaten erhofft, durch das Klonen unsterblich zu werden. Aber die ersten Konzepte erinnerten noch zu sehr an das missglückte Dolly-Experiment und die finanzstarken Kunden wollten nicht mit einem geklonten Schaf verglichen werden. Dann aber ließ sich jemand von Rudi Ruckers Ware-Tetralogy inspirieren. In dieser Geschichte aus den 1980er Jahren virtualisieren durchgeknallte Roboter Menschen, weil sie an deren Hirnstrukturen kommen wollen; die Körper der Menschen, die sogenannte Wet Ware, finden sie unwichtig und vernichten sie. Ich muss zugeben, dass ich das nachempfinden kann. Alles körperliche erscheint mir grundsätzlich unhygienisch. Ich darf gar nicht daran denken, dass auf meiner Haut Millionen winziger Lebewesen existieren, die sich von meinen abgestorbenen Hautzellen ernähren. Oder diese Menge an Körperflüssigkeiten, die handwarm durch den Körper strömen – schlimmer noch, die ihn auch regelmäßig verlassen. Widerlich.
Seit Mitte des 21. Jahrhunderts wurde jedenfalls die Technologie virtueller Klone intensiv weiterentwickelt und hatte nun, kurz vor der Jahrhundertwende, die Marktreife erreicht. Vorausgesetzt, man konnte sie sich leisten. Und ich konnte, denn meine Kunden bezahlten mich sehr gut dafür, dass ich herausfand, wer heimlich ihr Geld für Luxusuhren ausgegeben hatte oder in welche dunklen Kanäle Millionen Steuergelder geflossen waren.
Ich saß noch leicht benommen vor dem Powertablet, starrte auf den nun wieder schwarzen Bildschirm und überlegte, wie ich anfangen sollte. E-Mails priorisieren und beantworten? Banale Aufgaben erledigte eine KI für mich. Mein digitaler Klon war aber nicht so primitiv wie eine KI, er sollte laut dem Hersteller meine persönlichen Denkmuster emulieren. Die Daten des Klons waren inzwischen von dem fast schon antiken Gerät in mein aktuelles Setup transferiert worden. Ich aktivierte die Graphen-Tastatur, meine Hände schwebten noch einen Moment darüber. „Shell starten“, sagte ich, dann schrieb ich:
#!/usr/bin/env bash
# Verbindung zum virtuellen Klon herstellen
./connect_dna_clone --auth "Luka_Peters_DNA_37xy9" --mode "creative"
# Klon-Instanz definieren
Klon=$(dna_clone_instance --session-id "current")
# Manuskript zur Analyse übergeben
$Klon analyze --file "/home/luka/manuscripts/ein-sommertag.md" \
--type "autofiction" \
--genre "literary" \
--depth "comprehensive" \
--focus "style,emotional_resonance,father_son_dynamic" \
--output-format "detailed" \
--compare-style "/home/luka/manuscripts/previous_works/" \
--use-mindset "creative_evening"
# Parameter für die Analyse
$Klon set-parameters \
--writing-style "ornate" \
--consider-background "forensic_precision" \
--personality-matrix "original_dna_profile" \
--emotion-depth 95 \
--analytical-distance 40
# Analyse starten
$Klon execute-analysis > "/home/luka/manuscripts/clone_feedback.md"
Mein angefangenes Roman-Manuskript zu analysieren sollte ein guter Test sein, um herauszufinden, wie mein Klon funktionierte. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob die Parameter am Ende meines Codes zur emotionalen Tiefe und zur analytischen Distanz wirksam sein würden. Im Grunde war mein Klon eine Blackbox für mich und ich musste erst noch herausfinden, wie er sich steuern ließ. Es war doch möglich, ihn zu steuern?, durchzuckte mich kurz ein Zweifel.
Der Hersteller warb immerhin damit, dass ein virtueller Klon ihm übertragene Aufgaben so ausführen würde, wie man es selbst im Idealfall auch täte. Wir Menschen bremsen allerdings allzu oft unser eigenes Potential aus, weil wir Angst haben vor Mißerfolg oder Erfolg, vor dem, was andere über uns sagen könnten und generell vor den unabsehbaren Konsequenzen unserer Handlungen. Die digitale Entität meines Selbst sollte dagegen frei von Ängsten und Bedenken sein. Mein Romanprojekt war deshalb ein guter Lackmus-Test für die Fähigkeiten des Klons: Einerseits drängte etwas in mir mich dazu, in meiner Freizeit diesen Roman zu schreiben, andererseits fand ich immer wieder einen Grund, doch etwas anderes zu tun. Vielleicht würde mir die nüchterne Analyse des bisher Geschriebenen den nötigen Tritt verpassen, endlich weiterzuschreiben – oder die Idee ganz aufzugeben.
Ich drückte energisch die „Enter“-Taste herunter.
Rückblickend wundere ich mich immer noch über meine Naivität an jenem Abend.
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